Lage im Norden – eine finnische Sichtweise

 

Finnlands Militärattaché zum Vortrag bei Immendinger Reservisten

 

Nach über 750 Kilometern auf dem Motorrad nahm Oberstleutnant im Generalstab Niclas von Bonsdorff von der Finnischen Botschaft in Berlin die Gäste mit zu einem Vortrag über die Sicherheits- und Verteidigungspolitik seines Landes Landgasthof Kreuz in Immendingen.

Von Bonsdorff gehört der schwedischen Minderheit in Finnland an und ist seit 2 Jahren der stellvertretende Verteidigungsattache mit Nebenakkreditierung in der Tschechischen Republik. Nicht zuletzt wegen des Generalstabslehrgangs an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg in den Jahren 2003 bis 2005, sondern auch wegen einiger Jugendjahre in Münster bildete die Sprache keine Barriere in seinem Vortrag. Der Referent ging zunächst auf die Geographie und die Geschichte seines Landes ein, welche maßgebend ist für die Verteidigungspolitik des Landes an der 1.300 Kilometer langen Grenze mit Russland. Gemessen an der Fläche ist Finnland die siebtgrößte Nation in Europa, aber mit nur 5 Millionen Ein-wohnern eher klein und die vielen Seen und Wälder des Landes machen eine Verteidigung auch eher schwierig. Bis 1809 war Finnland Teil von Schweden und dann über ein Jahrhundert ein Großfürstentums des Russischen Zarenreiches.

In diesem Jahr wird Finnland sein Hundertjähriges Bestehen als Nation feiern können, nachdem es am 06.12.1917 seine Unabhängigkeit erklärt hatte. Schon damals gab es enge Beziehungen zu Deutschland, denn um ein Haar wäre der damalige Prinz von Hessen König in Finnland geworden, letztlich entschied man sich aber für eine Republik. In den Folgejahren gab es vielfältige Verbindungen zwischen den beiden Staaten einmal beim Aufbau der Finnischen Armee und dann erneut in den Wirren des Zweiten Weltkrieges. In der Zeit bis zur politischen Wende in Europa war Finnland ein neutraler Staat zwischen Ost und West. 1994 trat das Land der NATO-Initiative Partnerschaft für den Frieden bei und 1995 wurde es Mitglied der Europäischen Union. In dem sicherheitspolitischen Umfeld zwischen den o.g. Bündnissen und dem Nachbarn Schweden einerseits und dem Nachbarn Russland bewegt sich Finnland vor allem in der Baltischen See, über die 90 Prozent des Handels abgewickelt werden, und daher von entscheidender Bedeutung ist. Die Ukraine-Krise 2014 hat auch in Finnland zu einem Umdenken geführt, da die Vorwarnzeit geringer geworden ist. So wurde 2016 ein neues Weißbuch geschrieben und im Februar 2017 neue Verteidigungspolitische Richtlinien herausgegeben mit der Kernbotschaft: Finnland verlässt sich nicht auf Hilfe von außen, sondern muss in der Lage sein sich selbst zu verteidigen. Die meisten Armeen in Europa hatten ihre Streitkräfte nach der Wende auf den Einsatz ausgerichtet. Finnland dagegen hat traditionell immer der Landesverteidigung den Vorrang eingeräumt, gleichwohl war es traditionell immer wieder bei UN-Einsätzen dabei. Das Konzept hieß stets eine glaubwürdige Verteidigung des gesamten Landes, sowohl an Land wie auch in der Luft und auf der Baltischen See, und hierbei die gesamte Bevölkerung mitzunehmen, sodass es stets an der Wehrpflicht für alle männlichen Einwohner und des freiwilligen Dienstes für Frauen festhielt. Schon die Zahlen verdeutlichen dass bei 12.300 aktiven Soldaten rund 21.000 Wehrpflichtige unerlässlich sind bei der Verteidigung des Landes, 75 % eines Jahrgangs erfüllen Ihren Dienst zwischen 6 Monaten und 12 Monaten. Die Luftwaffe und die Marine sind dabei stets, also auch in Friedenzeiten, in Bereitschaft, während das Heer aufwächst. Den Reservisten kommt dabei eine besondere Rolle zu. Jährlich werden bis zu 18.000 Reservisten vor allem in Ausbildungsvorhaben kontinuierlich vorbereitet und in Übungen die verschiedenen Alarmierungszeiten überprüft. Die Reserve bildet auch das Rückgrat bei Einsätzen außerhalb des Landes. Insgesamt stehen so fast 280.000 Soldaten bei einer Mobilisierung bereit, was beachtlich ist angesichts der Größe des Landes und der Bevölkerung. Dadurch können schnell Speerspitzen gebildet werden, welche die Reservisten verstärken. Die, durch das Parlament vorgegebenen Aufgaben umfassen daher auch zu 90 Prozent die Landesverteidigung, Amtshilfe im Inland sowohl der Polizei als auch im Katastrophenfall bringt Synergien und die Verbundenheit mit der Bevölkerung und der Region.

Neu ist die internationale Unterstützung bei Übungen. Internationale Einsätze beziehen sich hauptsächlich auf UN-Einsätze. Das zur Verfügung stehende Budget ist moderat, wobei 39 Prozent in den operativen Betrieb und 29 Prozent an Personalkosten gedeckt werden müssen, nebst 20 Prozent für das Material. Die Herausforderungen der Zukunft sind neben der Aufstockung der Mobilisierungsstärke und damit der Erhöhung der allgemeinen Bereitschaft vor allem Materialanschaffungen für das Heer ab 2010 und die Luftwaffe und die Marine ab 2020. Wie in allen anderen Staaten Europas spielt das Thema Cyber und Aufklärung künftige eine größere Rolle.

Immer die Landesverteidigung im Blick widmet man sich auf verschiedener Ebene dem Thema Interoperabilität, so in Bilateraler Zusammenarbeit mit den USA und Schweden, mit letzteren ist sogar eine Verteidigungsunion eine mögliche Vision. Mit der NATO arbeitet man seit 1994 enger zusammen und übernimmt, mit kräftiger deutscher Unterstützung die NATO-Standards, der UN ist man seit 1956 mit der Gestellung eines Bataillons verbunden, in der EU leistet man Ausbildungshilfe und stellt Eingreifverbände und in der Nordischen Verteidigungskooperation aller skandinavischen Staaten stellt man Verbände für Auslandseinsätze.

Die deutsch-finnische Zusammenarbeit ist geprägt von gemeinsamer Ausbildung und Übungen, sowie in Einsätzen. Aus finnischer Sicht ist die Bundesrepublik ein wichtiger Partner, der für Zusammenarbeit steht und zudem in zentraler Lage in Europa angesiedelt ist mit wirtschaftlicher und politischer Größe aber in vielen Bereichen auch gleichgesinnt in Bezug auf gemeinsame Ziele. So wurde erst am heutigen Tag eine weitere Deutsch-Finnische Vereinbarung unterzeichnet. Oberstleutnant von Bonsdorff freut sich, daß er ab August dann als Verteidigungsattache noch weitere Jahre an der Gestaltung der Zusammenarbeit mit-arbeiten darf.

Oberstleutnant von Bonsdorff ging in der regen Diskussion auf alle Fragen ein und wurde vom Vorsitzenden der Reservistenkameradschaft Immendingen, Hauptfeldwebel der Reserve Udo Tietz mit einer kleinen Erinnerung verabschiedet.

 

 

 Oberstleutnant Niclas von Bonsdorff (li) – Udo Tietz (re)

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